REIFEPRÜFUNG

In den siebziger Jahren ließ sich die Jugend den Kopf gern von Kleinkrafträdern verdrehen, denen in der Leistung keine Limits gesetzt waren. Eine „Klasse 4“ war damals der Inbegriff für die Rebellion der Jugend und das ultimative Fahrzeug, um dem Muff der Eltern zu entfliehen. Ich weiß, wovon ich rede, schließlich war ich dabei. Nun ja – und auch wieder nicht …

Will man sich heute noch so ein illustres Quartett vor die Augen holen, wie wir es auf diesen Seiten zeigen, muss man mindestens einen 70er-Jahre-Mopedtreff besuchen. Vor rund 50 Jahren reichte dafür ein Ausflug auf den Parkplatz einer beliebigen Schule, dort fand man sie dann zumeist im Rudel geparkt. „Offene Kleinkrafträder“ beschleunigten damals zahllose Teenager durch die Pubertät, doch auch wenn die unlimitierten Mini-Kraftwerke schon in der Serie bis zu 100 km/h rannten, so kam man auf ihnen trotzdem nicht schneller in die Welt der Erwachsenen – aber der lange Weg dorthin ließ sich doch deutlich rasanter gestalten. Und lauter. So fanden die kleinen Feger über eine Dekade hinweg reißenden Absatz, bis ihnen dann im Jahr 1980 durch eine Reform des Führerscheinrechts der Stecker gezogen wurde. Wer jedoch zwischen 1970 und 1980 das passende Alter hatte, um zur relevanten Zielgruppe zu gehören, wird die Erinnerung an diese wilden Jahre bis heute wie einen emotionalen Hafen erleben, in dem man auf Lebenszeit einen Liegeplatz gebucht hat. So wie ich.

Denn als ich meine Jugendträume jetzt nach so langer Zeit wieder live und in Farbe vor mir sehe, werden auch in mir im berühmten Nu die alten Bilder wieder wach. Von unserem Garagenhof im Ruhrpott, in dem wir damals meist schon direkt nach der Schule abhingen, um überwiegend verbotene Dinge zu tun. Dort ließen wir mit schwarzen Fingern heimlich die Bierflaschen kreisen, drehten die ersten krummen Kippen und sezierten nebenher mit jugendlicher Unerschrockenheit unsere Mofas, wobei wir uns oft genug darüber wunderten, dass nach dem Wiederzusammenbau stets noch eine Handvoll Schrauben übrig war. Eigentlich verwunderlich war jedoch, dass unsere Kisten meist trotzdem liefen – die Siebziger waren schon eine magische Zeit.

Was erträgt man nicht alles in der Balz?

Aus unserem leiernden Cassetten-Recorder dröhnten Deep Purple, Black Sabbath oder Uriah Heep, es sei denn, die Mädchen hatten ihre Tapes mitgebracht. Dann mussten wir die Bay City Rollers, Smokie und Pussycat ertragen, die ultimative Höchststrafe jedoch war David Cassidy, der Justin Bieber der Siebziger – aber was erträgt man nicht alles in der Balz? Wir wuchsen auf Plateausohlen über uns hinaus, trugen geschlechtsbetonte Breitschlag-Buxen zur Kampfjacke und quetschten uns unter unserem Vokuhila zwischen dem ersten Bartflaum die letzten Eiterpickel von der Kinnlade. Ich werte es als eine Fügung des Himmels, dass es aus der Zeit keine Fotos von mir gibt. (falls doch: zahle jeden Preis!) Und doch weiß ich noch heute, wie wunderbar erwachsen sich das alles anfühlte.

Ich führte damals ein Leben am Ende der Zielgeraden. Auf mehr als einem Kilometer hatte die Straße, an der ich wohnte, nicht den leisesten Knick, und so war das leicht abschüssige Asphaltband vor meiner Haustür im Windschatten der Halde für die Nachwuchs-Rennfahrer der Klasse 4 der ideale Track, um den Schnellsten zu ermitteln – immer in Match-Races Mann gegen Mann. Dieser Wettbewerbsmodus hatte sich bewährt, schließlich konnten so immer nur zwei Rennmaschinen von den Grünen stillgelegt werden und nicht das gesamte Hauptfeld gleich mit. Denn wohl keine dieser Zweitakt-Raketen war noch legal, wer zur beinahe wöchentlich ausgetragenen Stadtmeisterschaft mit einem Serien-Modell auftauchte, wurde erst ausgelacht und dann versägt. Oder umgekehrt.

So kreischten damals immer nur zwei Piloten bei Höchstdrehzahl an meinem Fenster vorbei, doch war das für mich allemal spektakulär genug. Ich war wild entschlossen, bald ebenfalls mit konkurrenzfähigem Material an diesen Heats teilzunehmen, nur hatte ich noch kein „Mopped“. Ich war erst 15 und musste mich bis auf weiteres mit einer Zündapp des Typs 442-17 arrangieren, und auch wenn ich mein Mofa recht kaltblütig in die Nähe der Leistungsgrenze gebracht hatte, so konnte der fixe Floh doch bestenfalls ein Vorspiel sein. Eigentlich hatte ich zu der Zeit nur eines im Kopf: möglichst schnell 16 werden und dann endlich in die „Klasse 4“ aufsteigen! Für ein bestimmtes Modell hatte ich mich allerdings noch nicht endgültig entschieden.

Die Modellpalette von Garelli fand sich in der Nähe der Damenunterwäsche

Denn die Auswahl war groß. Kreidler, Hercules und Zündapp dominierten die Straßen, doch buhlten auch andere Marken um die Gunst der Teenager. So hatten Puch, KTM und Maico recht heiße Eisen im Feuer, auch Honda und Yamaha versuchten bei den Nachwuchs-Windgesichtern zu punkten. Die Modellpalette von Garelli war allein deshalb hochinteressant, weil sie mir einen guten Vorwand lieferte, um mich mit dem Neckermann-Katalog in eine stille Ecke zu verziehen und dann immer wieder darüber zu staunen, dass es in einem Versandhaus-Katalog so viele Mofas, Mokicks und selbst Kleinkrafträder zu sehen gab – gar nicht mal so weit weg von der Damenunterwäsche.

Die Klasse 4 war schon weit mehr als zehn Jahre zuvor im Rahmen einer Führerscheinneuregelung in die Welt gekommen und stand für „Krafträder mit nicht mehr als 50 ccm Hubraum“, doch während für den Hubraum ein Limit gesetzt wurde, ließ man Leistung und zulässige Geschwindigkeit nach oben offen. Mit der Neuregelung waren auch die Tretkurbelpflicht und alle Vorgaben zum Raddurchmesser weggefallen, und so sahen die Modelle plötzlich nicht mehr aus wie adipöse Mofas, sondern wirkten mit ihren Fußrasten, den schicken Rädern und den schon bald weit verbreiteten Telegabeln wie richtige Motorräder – zumindest wie deren Welpen. Weil es keine Grenzen gab, setze ein wahres Wettrüsten ein, die Motoren wurden immer potenter, bis dann spätestens Ende der Sechziger deutlich wurde, dass die Jugend nicht reif genug war für so viel Performance. Die Unfallzahlen waren ebenso dramatisch in die Höhe geschnellt wie in der Folge die Versicherungsprämien, und weil die Helmpflicht noch weit weg war, fuhren sich viele um Kopf und Kragen.

Bevor der Gesetzgeber dem Einhalt gebieten konnte, beschlossen Hercules, Zündapp und Kreidler im Jahr 1970 eine freiwillige Selbstbeschränkung auf 6,25 PS – was immerhin noch einer Literleistung von 125 PS entspricht –, eine Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h und ein Getriebe mit maximal fünf Gängen. Nachdem man sich bei der Performance nun also per Agreement auf Augenhöhe verabredet hatte, blieben nur noch Optik und Ausstattung, um die Kundschaft von der eigenen Marke zu überzeugen. So wanderte der bis dahin meist im Lampentopf untergebrachte Tacho gern in Kombination mit einem Drehzahlmesser in ein sehr erwachsen wirkendes Cockpit am Lenker, schon bald kamen Blinkanlagen und kleine Verkleidungen hinzu, später sollten wassergekühlte Motoren, Scheibenbremsen und Gussräder den Unterschied machen.

Die Flory war der unangefochtene Speed-King in der Mofa-Klasse

Logisch, dass auch ich in meinen Klasse 4-Träumen eine favorisierte Marke hatte, wobei meine Zuneigung allein auf schlechten Erfahrungen beruhte. Denn natürlich fuhren wir auch in unserer „Baby-Liga“ – so nannten die Klasse 4-Jungs uns immer – das schnellste Mofa aus, und da hatte ich mit meiner Zündapp keinerlei Siegchancen, es sei denn, es war zufällig mal keine Flory am Start. Die Kreidler Flory war damals der unangefochtene Speed-King in der Mofa-Klasse, was vor allem daran lag, dass es relativ simpel war, den Motor mit Teilen der größeren Modelle deutlich mehr Leben einzuhauchen. In meinem Viertel hatte ich mich mit gleich drei Florys rumzuschlagen, und obwohl ich meinen Typ 442-17 schon bis knapp an die ­60-km/h-Marke optimiert hatte, zogen die Florys mir allesamt locker davon. Schnell stand deshalb für mich fest, dass bei meinem zukünftigen Klasse 4-Renner der Name Kreidler auf dem Tank stehen wird. Und das ging nicht nur mir so.

Die Kreidler-Werke in Kornwestheim mussten in den Siebzigern sicher etliche Sonderschichten einlegen, um die Nachfrage nach ihrem Spitzenmodell zu befriedigen. Die Floretts waren allein deshalb so beliebt, weil das „RS“ für Rennsport im Modellkürzel mehr als nur eine leere Versprechung war. Kreidler hielt mit weit über 200 km/h den Geschwindigkeits-Weltrekord in der 50 ccm-Klasse und holte in den Siebzigern WM-Titel am laufenden Meter, wobei es fast egal zu sein schien, ob sich nun Jan de Vries, Henk van Kessel, Angel Nieto, Eugenio Lazzarini oder Stefan Dörflinger an den Rennstummeln festkrallten. Doch stand Kreidler nicht nur für Performance und Speed, sondern fiel auch durch den sehr eigenen Look auf, was vor allem dem liegenden, fahrtwindgekühlten Zweitaktmotor geschuldet war, der unten an einem Pressstahlrahmen hing.

Für das Triebwerk der Florett waren diverse „Frisiersätze“ erhältlich, vor allem in den Niederlanden, auch das Werk selbst bot einen Renn-Kit an. Doch darf vermutet werden, dass schon in der Serienkonfiguration mehr Leistung steckte als die regelkonform angegebenen 6,25 PS. Stichproben auf dem Prüfstand förderten beim von 1972 bis 1979 produzierten B 15/20-Motor locker eine ganze Pferdestärke mehr zu Tage. So hatte die Kreidler auch bei allen Vergleichstests in Sachen Beschleunigung und Top Speed recht gute Karten, nur die Puch war meist noch ein wenig schneller.

Entscheidend ist die Qualität der nächstliegenden Werkstatt

Doch war die heiße Österreicherin in meinem Soziotop schlicht nicht vertreten, und weil ich damals noch nie eine Puch auf der Straße gesehen hatte und auch von keinem Händler in der Nähe wusste, spielte der Exot in meinen Träumen keine große Rolle. Ich hatte zwar davon gehört, dass Puch sogar mal Weltmarktführer in der sogenannten Schnapsglasklasse gewesen war und in anderen Hemisphären den Markt dominierte, doch hatte ich im Sommer 1976 auch aufmerksam den großen 50er-Vergleichstest in der Zeitschrift „Das Motorrad“ gelesen, in dem gleich elf Kleinkrafträdern auf den Zahn gefühlt worden war. Vor allem das Testfazit war bei mir hängengeblieben, denn die Empfehlung der Redaktion war doch überaus pragmatisch: „Man richte seinen Kaufentschluss nach der Qualität der nächstliegenden Werkstatt.“ Da es weder eine Puch- noch eine KTM-Werkstatt in meiner Schlagdistanz gab, waren diese beiden Ösi-Drops für mich gelutscht. Auch die Garelli von Neckermann war ein No-Go, denn auf das Billigangebot aus dem Versandhandel wurde ebenso mit dem Finger gezeigt wie auf die Starflite GTS, die es bei Karstadt zu kaufen gab. „Kaufhaus-Bike – Dauerstreik“ reimten wir damals gerne, heute würde man vielleicht sagen: „Baumarktroller – Schnauze voller“.

Dass es für mich überhaupt eine Alternative zur Kreidler gab, hing einerseits mit Manni Meuser zusammen, andererseits mit der IFMA 1976 in Köln – aber der Reihe nach. Manni Meuser hatte zwei Häuser weiter eine Hinterhofwerkstatt und schraubte dort an den Zweirädern der gesamten Nachbarschaft, bevorzugt an Zündapps. Vorn an seiner Tür hing eine schon etwas fleckige Urkunde, die seine Doppelgarage als autorisierte Zündapp-Werkstatt auswies, doch ließ die etwas holprige Orthografie vermuten, dass er sich das Dokument selbst ausgestellt hatte. Unbestritten war indes, dass er ein intimer Kenner der Zündapp-Materie war, seine Eingriffe in die Technik meines Mofas waren jedenfalls nicht ohne Wirkung geblieben. Mannis Begeisterung für Zündapps war mindestens ebenso groß wie seine Verachtung der Marke Kreidler, er ließ kein gutes Haar an meinem Traumbike und deshalb auch nichts unversucht, mich von meinen Kaufplänen abzubringen. Woher diese Abneigung rührte, hab‘ ich nie verstanden, denn wirklich überzeugende Argumente hatte er dafür nicht. Dafür stellte er wiederholt das Versprechen in den Raum, mir ausgesuchte Tuning-Teile für die KS 50 nicht nur günstiger zu überlassen, sondern sie auch noch günstiger fachgerecht zu verbauen. Ich nehme mal an, er wollte mich nicht als Kunden verlieren.

Meine Konfirmation hatte sich als formidabler Beutezug entpuppt

Damit brachte er mich tatsächlich ins Grübeln, denn rein finanziell waren meine Klasse 4-Pläne ohnehin ein Husarenritt. Den Preis für eine gute Gebrauchte würde ich schon irgendwie hinkriegen, da zehrte ich noch von meiner Konfirmation, die sich als formidabler Beutezug entpuppt hatte. Wie ich allerdings den Unterhalt inklusive der horrenden Versicherungsprämie stemmen sollte, war noch vollkommen im Dunkel. Manni wusste von dieser Wunde und legte mit Genuss immer wieder seinen ölverschmierten Finger hinein, obendrein appellierte er mit Blick auf mein Mofa an meine Markentreue: „Einmal Zündapp, immer Zündapp.“

Gar so abwegig war es für mich also nicht, mich auch für die Zündapp KS 50 WC zu interessieren, wobei die etwas unglücklich gewählte Typenbezeichnung „WC“ in Kreidler-Kreisen natürlich dankbar aufgegriffen wurde – so groß die Abneigung gegen Kreidler-Fahrer in der Zündapp-Szene war, so groß war sie auch umgekehrt. Zumal sich hinter dem Kürzel WC ja tatsächlich eine Art Wasserspülung verbarg, denn es stand für „Watercooled“ und machte das Triebwerk der KS 50 zu etwas Besonderem. Schon Mitte der Sechziger hatte Zündapp mit der Wasserkühlung etliche Langstrecken-Weltrekorde eingefahren, am sportlichen Image gab es also nichts zu meckern, an der langen und ruhmreichen Motorradhistorie der Marke ohnehin nicht. Doch machte der mit Wasser gefüllte Kühlmantel um den Zylinder die KS 50 auch seltsam leise, was so ziemlich das Gegenteil von dem ist, was sich ein Heranwachsender wünscht. Auch fremdelte ich etwas mit dem merkwürdigen Rahmen aus einem Druckguss-Heck mit dem eingepflanzten Rückgratrohr, und der große Wasserkühler gefiel mir ebenfalls nicht – die Kreidler-Jungs nannten ihn nur „Spülkasten“. Und doch war die Zündapp dank Manni Meuser für mich eine ernsthafte Option.

Und dann war da noch diese Hercules, die allerdings gerade erst wie aus dem Nichts aufgetaucht war und die ich bis dahin nur von Bildern kannte. Auf der IFMA im September 1976 hatte Hercules die K 50 Ultra ins Rampenlicht geschoben und mit dem knallroten Renner nicht nur mich verblüfft. Bis dahin stand die Marke Hercules mit ihrer geschobenen Langschwinge vorn und ihrer eher touristischen Leistungsentfaltung für mich vor allem für Komfort und Biederkeit. Obwohl sie in diversen Konfigurationen Mitte der Siebziger eine Zeit lang die Verkaufsstatistiken anführte, hatte sie in unserer Clique nur den Spitznamen „Renntransporter“.

Hercules-Fahrer waren zechende Bergbau-Rentner mit Cordhut

Das lag an der Eckkneipe ein Stück die Straße rauf, in der sich mehrmals im Jahr die „Tauben-Vatters“ ein Stelldichein gaben. Sie lieferten dort in großen Bastkörben ihre gefiederten Rennställe ab, um sie per Lkw an die Startlinie irgendwo in Skandinavien bringen zu lassen. Die weitaus meisten transportierten ihre Renntauben in gleich mehreren der riesigen Körbe auf selbstgebauten Hängern, und das Zugfahrzeug war fast ausnahmslos immer eine Hercules K 50. Das mag damit zusammenhängen, dass der lokale Hercules-Händler in Personalunion auch Vereinspräsident der Taubenzüchter war, ich denke mal, da waren unlautere Rabatte im Spiel. Jedenfalls war der Platz vor der Kneipe am Rennwochenende überwiegend mit dieser Marke zugeparkt, folgerichtig waren typische Hercules-Fahrer für mich zechende Bergbau-Rentner mit Cordhut – nicht unbedingt die Vorbilder, denen ein 15-jähriger nacheifert. Und von der glorreichen Historie der Marke im Geländesport hatte ich doch damals keine Ahnung – ich las U-Comix, MAD und ZACK, meine Helden hießen Michel Vaillant und Alfred E. Neumann, nicht Arnulf Teuchert und Rolf Witthöft.

Umso mehr überraschte mich Hercules dann mit der Ultra, um nicht zu sagen: Das Teil haute mich um, ich war hin und weg! Der extrovertierte Look der Rothaut mit ihrer gelben Kriegsbemalung und den vielen schwarzen Teilen fiel selbst in den ohnehin knallbunten Siebzigern auf, und auch sonst gefiel mir so gut wie alles an der Ultra, von den ebenfalls rot-gelb lackierten Siebenspeichen-Gussrädern über die Marzocchi-Telegabel und die schicke Verkleidung bis hin zur rassigen Höckersitzbank. Auch den großen Rippenfächer auf dem Zylinderkopf des bewährten Sachs-Motors fand ich cool, ganz zu schweigen von der Doppelscheibenbremse vorn. Doch aller Begeisterung zum Trotz brachte die Ultra mich nicht wirklich ins Wanken, dafür war sie schlicht zu neu und deshalb für mich viel zu teuer. Dafür hätte ich mindestens eine weitere Konfirmation gebraucht.

Ich war damals also nach wie vor hin- und hergerissen zwischen Kreidler und Zündapp, bis mir dann an einem Sonntag im November 1976, wenige Wochen vor meinem 16. Geburtstag, die Entscheidung jäh abgenommen wurde. Ich war mit Typ 442-17 gerade auf einer Messfahrt – Manni hatte mir einen größeren Vergaser zu Testzwecken überlassen – als plötzlich ein bemerkenswert hässlicher Kombi links an mir vorbeizog, aus dessen Seitenfenster eine Kelle winkte. Dass ich die Zivilstreife kurz zuvor langliegend überholt hatte, brachte dann keine allzu helle Farbe in das anschließende Gespräch mit den Ordnungshütern, die meine brave Zündapp – allein schon wegen der restlosen abgefahrenen Reifen und der vollständigen Abwesenheit einer Vorderradbremse – auf der Stelle stilllegten und mich anschließend bei meinen Eltern ablieferten. War das ein Hallo!

Den Rest meiner Adoleszens verbrachte ich im Fahrradsattel

Die Nummer hatte weitreichende Konsequenzen, denn mein Vater verhängte umgehend einen vollständigen Bannstrahl über meine Klasse 4-Pläne, ließ mich auch mit dem saftigen Bußgeld allein und brachte meine Zündapp noch am selben Tag zum Schrotthändler – dem ich dann auch noch Mannis Vergaser wieder abkaufen musste. Nachdem ich ein Jahr lang darauf hin gefiebert hatte, waren meine Klasse 4-Träume innerhalb weniger Stunden geplatzt, den Rest meiner Adoleszenz verbrachte ich dann im Fahrradsattel und half den Kumpels beim Schrauben an ihren Rennern. Mein erstes eigenes Kraftrad war also keine Kreidler, keine Zündapp und auch keine Hercules oder Puch, sondern erst gut zwei Jahre später eine Honda CL 450 Scrambler. Die mich dann allerdings rasch über vieles hinwegtröstete.

Die am 1. April 1980 eingeführte Fahrerlaubnisklasse 1 b für Leichtkrafträder mit maximal 80 ccm, einer Drehzahlbegrenzung auf 6000/min und einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erlebte ich also bereits aus dem Sattel einer „Großen“. Für die „offenen Kleinkrafträder“ bedeutete die neue Klasse das Ende, wie auch für so manchen Hersteller, der zu lange auf die kleinen Raketen gesetzt hatte. Die Jugend bediente sich nun in der 80er-Klasse, die neuen Objekte der Begierde hießen Honda MT-8 oder Yamaha RD 80 MX, womit die Japaner – nachdem sie den Gesamtmarkt schon weitgehend erobert hatten – nun auch in der kleinen Klasse endgültig das Ruder übernahmen.

Obwohl ich nie eine Klasse 4 fahren durfte, so habe ich diese Zeit doch intensiv miterlebt und damals einen soliden Grundstein für meine Motorradverrücktheit gelegt, die zum Glück noch immer anhält. Seitdem habe ich viel im Sattel erlebt und bin etliche Motorräder gefahren, doch kann ich nach so langer Zeit und trotz zahlloser grandioser Momente auf zwei Rädern heute auch sagen: So cool wie damals war es nie wieder.

Meine ganz persönliche Erinnerung an die Mopeds der wilden Siebziger erschien im Sonderheft OLDTIMER MARKT EDITION „FUFFZIGER“.

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