GODFATHER OF SPEED

Wirklich viele Motorsport-Helden hat Neuseeland nicht hervorgebracht, doch sorgten die wenigen durchaus für Furore. Das gilt für Bruce McLaren ebenso wie für John Britten, doch gab es einen, der alles andere überstrahlte: Burt Munro schrieb wahrhaft einzigartige Renngeschichte.

Herbert James Munro, von seinen Freunden nur „Burt“ gerufen, hatte einiges auf sich genommen, um im Jahr 1962 in die Große Salzwüste westlich von Salt Lake City zu kommen. Die wochenlange Überfahrt von Neuseeland in die USA quer über den Pazifik musste sich der 63-Jährige mit seinen übersichtlichen Fähigkeiten als Koch auf einem Frachtdampfer verdienen, wobei er in der Kombüse nicht nur seine eigene Passage abarbeiten musste. Obendrauf kam noch die Frachtrechnung für sein Motorrad, eine alte Indian Scout aus dem Jahr 1920, die im Bauch des Schiffes mitreiste.

In den Staaten angekommen wartet dann noch ein langer Weg über Land auf ihn, gut 1100 Kilometer sind es von der Küste bis zu den „Bonneville Salt Flats“. Burt kauft für 90 Dollar einen rostigen Nash-Kombi, sammelt sich auf einem Schrottplatz die Teile für den Bau eines Hängers zusammen und findet eine Werkstatt, in der man ihn dieses Werk selbst verrichten lässt. So zieht er seine Indian dann tief ins Landesinnere und ist pünktlich zur „Speed Week“ vor Ort – Burt Munro wähnt sich am Ziel seiner Träume.

Schon seit 1949 treffen sich alljährlich im August die Speed-Freaks am ausgetrockneten Teil des Lake Bonneville, um auf der endlosen Salzebene auf die Jagd nach Landgeschwindigkeitsrekorden in allen Klassen zu gehen. Bei diesem Leistungsanspruch liegt es nahe, dass die bis an die Grenzen des Machbaren getunten Fahrzeuge stets dem neuesten Stand der Technik entsprechen, ihr oft genug sogar ein gutes Stück voraus sind. Vielköpfige Teams, die in ihren Trailer-Burgen mit bestem Equipment an ihren Hightech-Fahrzeugen schrauben, sind bei der Speed Week eher Regel als Ausnahme, das war auch vor 60 Jahren schon so. Weshalb der alte Mann aus Neuseeland mit seinem Vorkriegs-Oldtimer und dem klapprigen Kombi im Fahrerlager gleichermaßen für Erheiterung wie Mitleid sorgt. Viele fragen sich, warum der rüstige Kiwi eine wochenlange Anreise auf sich nimmt, um sich hier mit einem Uralt-Motorrad aus der Pionierzeit lächerlich zu machen. Warum tut man sich so etwas an? Um das zu verstehen, müssen wir einen Blick zurückwerfen.

1899 geboren, war Munro in Edendale in der Nähe von Invercargill aufgewachsen, einer kleinen neuseeländischen Idylle am südlichsten Ende der beiden großen Inseln. Seine Kindheit verbrachte er auf einer Farm und lernt schon in jungen Jahren all das Handwerk, das dort vor gut hundert Jahren gebraucht wurde – und mehr. Denn in dem jungen Herbert James erwacht früh auch eine Leidenschaft für Motorräder, was wohl vor allem seinen vielen Ausflügen an den nahegelegenen Oreti Beach geschuldet ist. Der 26 Kilometer lange und nahezu schnurgerade Sandstrand lockt damals schon Schnellfahrer an, die dem Speed ihrer Fahrzeuge auf den Zahn fühlen wollen. Der kleine Burt hockt in den Dünen, berauscht sich an den vorbeidonnernden Maschinen und träumt schon bald vom eigenen Motorrad.

Ganze 15 ist er, als er sich im Jahr 1914 eine rund drei PS starke Douglas zulegt, danach macht er eine Clyno so schnell wie keine Clyno zuvor, zumindest nicht am Oreti Beach. Keine 21 ist er, als dann die Maschine seinen Weg kreuzt, die er zeitlebens modifizieren und die viele Jahrzehnte später seinen Ruhm begründen sollte: eine 1920 gebaute Indian Scout, das seinerzeit neueste Modell der US-Marke, mit seitengesteuertem 600er V-Twin, Fußkupplung, Handschaltung, etwa 10 PS stark und rund 55 mph (knapp 90 km/h) schnell. Er tritt damit bei Berg- und Straßenrennen an, doch die Performance der Indian reicht nicht aus, um vorne mitzufahren. Und so beginnt er, dem V-Twin mehr Leben einzuhauchen, wobei er sich nicht mit Kleinigkeiten begnügt. Munro schmilzt mechanischen Schrott und alte Bleche ein und gießt daraus neue Pleuel und Kolben – im Sand am Strand. Tagsüber schuftet er auf der Farm, abends und nachts schraubt er an seiner Indian. Jahre geht das so. Und bleibt nicht ohne Folgen.

Ende der 20er Jahre rennt seine Scout schon hundert Meilen schnell, doch Burt ist sicher, dass noch weit mehr im Motor steckt. So gehen zwei weitere Jahrzehnte ins Land, Burt arbeitet inzwischen als Verkäufer in einer Motorradhandlung und hat eine Familie gegründet, doch verbringt er nach wie vor viel Zeit mit seiner Indian. 1940 schraubt er den neuseeländischen Geschwindigkeitsrekord für Motorräder auf 120,8 mph, hat in dem Jahr aber auch einen schweren Unfall und kann lange nicht arbeiten, was ihn den Job kostet.

Kurze Zeit später steht er nach seiner Scheidung dann auch noch alleine da, zieht zu seiner Indian in den Schuppen, und da ihn die Arbeit nun nicht mehr vom Schrauben abhält, vertieft er seine Fähigkeiten. Er experimentiert mit verschiedenen Legierungen, konstruiert komplett neue Zylinderköpfe, optimiert nahezu alle Motorenteile, selbst die Räder baut er selbst. Und die Scout wird immer schneller.

1957 holt er sich bei den jährlichen Canterbury Speed Trials mit 132,38 mph (ca. 213 km/h) den neuseeländischen Strandrekord. Der V-Twin ist bereits 37 Jahre alt, als Burt dann auch noch eine Stromlinienverkleidung für das Motorrad konstruiert. Nun auch noch aerodynamisch optimiert, gingen der von Burt inzwischen „Munro Special“ getauften Indian in Neuseeland die Playgrounds aus, der V-Twin war einfach zu schnell geworden für die lokalen Tracks und Strände. Wollte er die Performance des Motors vollständig ausreizen und obendrein eine offizielle Geschwindigkeitsmessung haben, musste er auf den Großen Salzsee auf der anderen Seite des Ozeans. Wie aber dorthin kommen, wenn man nahezu mittellos ist?

Doch Burt Munro war in den neuseeländischen Motorsportkreisen längst eine nationale Größe. Und weil auch viele seiner motorradverrückten Rennsportfreunde wissen wollten, wie schnell Burts Indian wirklich ist, starteten sie eine Kollekte für seine Reisekasse. Die reichte am Ende zwar nicht, um ihm den Dienst in der Kombüse zu ersparen, doch immerhin konnte er sich auf den Weg machen.

Um dort angekommen dann ausgelacht zu werden. Und das nicht nur wegen seines Alters und seines bemitleidenswerten Equipments, damit hätte er wohl leben können. Doch gab es ein weitaus größeres Problem: Burt hatte schlicht versäumt, sich anzumelden. In Neuseeland kamen die Fahrer am Tag des Rennens und schrieben sich vor Ort in die Starterliste ein, Burt kannte es nicht anders. Der Anmeldeschluss für die Speed Week jedoch lag schon Monate zurück. Und so wurde ihm von den Offiziellen bedeutet, dass er den weiten Weg umsonst gemacht hatte. Mal ganz abgesehen von den massiven Sicherheitsbedenken, die sich den technischen Kommissaren beim Anblick seiner Maschine förmlich aufdrängten.

Doch Burt ließ nicht locker. Im Fahrerlager fand er Fürsprecher, die sich für ihn einsetzten und so konnte er den Veranstaltern wenigstens einen Probelauf abringen, bei dem er von einem schnellen Wagen begleitet wurde. Man wollte einfach sehen, ob der kauzige Alte mit dem Motorrad wirklich umgehen kann und ob das kurz nach dem ersten Weltkrieg gebaute Trumm nicht bei 50 Sachen auseinanderfällt. Bis etwa 110 mph kann der Wagen noch mithalten, dann dreht Burt das Gas auf und fliegt seinen Begleitern förmlich davon.

Tief beeindruckt und wohl auch selbst neugierig geworden, erteilt man ihm tatsächlich eine Sonder-Starterlaubnis und lässt ihn für eine offizielle Geschwindigkeitsmessung zu. Schon bei seinem ersten Run wird Burt dann bei 178,95 mph (knapp 288 km/h) geblitzt – neuer Weltrekord in dieser Klasse! Über ihn und seinen Oldtimer macht sich danach niemand mehr lustig. Im Gegenteil. Denn als sich am Ende der Speed Week abzeichnet, das Burts Reisekasse deutlich zu schmal ist, um ihn und seine Indian auch wieder nach Neuseeland zurückzubringen, wird auch am Salzsee für ihn gesammelt. Schnell kam weit mehr als das Nötige zusammen, denn Burt war mit seiner „Munro Special“ tief in die Herzen der Speed-Community gerast. Dort ist er bis heute.

Und wird wohl auch für immer dort bleiben, denn sein 1962er Weltrekord sollte tatsächlich nur die erste Spur sein, die Burt Munro ins Wüstensalz brannte. In Neuseeland inzwischen zum Volksheld aufgestiegen, tritt er mit seiner von ihm immer weiter verbesserten Indian insgesamt neun Mal auf dem großen Salzsee an und fährt drei Bestzeiten ein. Bei seiner letzten offiziellen Messung im Jahr 1967 stellt er im Alter von 68 Jahren auf seiner nunmehr 47 Jahre alten und dereinst mal 10 PS starken Indian Scout mit 184,08 mph (296,26 km/h) einen Weltrekord für Benzin-betriebene Streamliner auf. Diese Marke hat bis heute Bestand.

Bis kurz vor seinem Tod schraubt Burt Munro in seiner schlichten Wohn-Werkstatt weiter an seinem Renner, wobei ihm verstärkt ein Herzleiden zu schaffen macht. Von einem Schlaganfall im Jahr 1977 erholt er sich dann nicht mehr und verkauft die „Munro Special“ an die Familie Hayes, die in Invercargill einen Baumarkt betreibt. Er kennt die Leute als leidenschaftliche Sammler und will seine Indian in guten Händen wissen, wenn er nicht mehr da ist. Als Herbert James „Burt“ Munro dann am 6. Januar 1978 seinem Herzleiden erliegt, fällt ganz Neuseeland in Trauer.

Seinem Leben hat man mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle ein filmisches Denkmal gesetzt („The World’s fastest Indian“, deutscher Titel „Mit Herz und Hand“), auch die „Munro Special“ kann man heute in Invercargill noch bewundern – im Baumarkt in der 168 Dee Street. Zu den Ladenöffnungszeiten kommt man dort einem einzigartigen Meilenstein der Motorradgeschichte ganz nahe – gleich rechts hinter den Heckenscheren, umgeben von Kettensägen, Rasenmähern und Werkzeug. Burt Munro hätte das sicher gefallen.

Direkt dahinter steht übrigens eine 500er Velocette MSS von 1936, mit der Burt Munro eine Zeit lang ebenfalls Rennen fuhr. Mit dem von ihm auf 650 Kubik aufgebohrten Single wurde er auf der Viertelmeile mit 12,31 Sekunden gestoppt, da war er 138,8 mph (222,37 km/h) schnell. Womit sein Renner wahrscheinlich die schnellste Velocette der Welt ist.

Aber das ist eine andere Geschichte.

Portrait Burt Munro, erschienen in MOTORRAD NEWS

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